Einen Aufenthalt der besonderen Art erlebten
wir, als wir uns dazu entschlossen, im August 2002 für 10 Monate an der
nördlichsten Universität der Welt UNIS in Spitzbergen zu studieren. Spitzbergen
ist ein zwischen Nordkap und Nordpol gelegenes Inselarchipel, welches sich von
74°N bis 81°N erstreckt.
Spitzbergen: zwischen
Nordkap und Nordpol
Mit Inkrafttreten des Svalbardvertrages
1920 fiel die Verwaltung dem Königreich Norwegen zu, wobei das Recht dort zu
leben und zu arbeiten Bürgern jeder Nation gewährt wird. Allerdings gibt es,
abgesehen von wenigen Forschungsstationen, nur eine norwegische und eine
russische Siedlung, wobei die (menschliche) Gesamtpopulation bei ungefähr 2800
Einwohnern liegt, davon ungefähr 1000 Russen, hinzu kommen noch ca. 2000
Eisbären und mehreren tausend Rentieren.
Longyearbyen und Umgebung
In der norwegischen Siedlung Longyearbyen, die nach ihrem
Gründer John Munroe Longyear benannt ist, befindet sich UNIS (Universitetssenteret på Svalbard), ein
Außenposten der vier norwegischen Universitäten. Obwohl in Longyearbyen nur ca.
1700 Menschen leben, findet man alle Annehmlichen der Zivilisation, angefangen
vom Einkaufszentrum, über Pubs und Restaurants, Schwimm- und Sporthalle,
Bibliothek, Kino bis hin zum Flughafen. Dabei hat sich Longyearbyen im letzten Jahrhundert
von einer Bergbausiedlung in eine kleine, moderne Stadt verwandelt.
Das Zentrum von
Longyearbyen, im Hintergrund Longyearbreen
Am Ende des Longyeartales, am Fuße zweier
Gletscher, liegt die ehemalige Bergarbeitersiedlung Nybyen, deren modernisierte
Häuser (norw: Brakke, nicht zu verwechseln mit dem deutschen Wort „Baracke“)
als Unterkunft für die Studenten dienen. Nybyen ist ein idealer Ausgangpunkt
für Ausflüge in die Umgebung, so z.B. zum über 1000m hohen Hausberg
Nordenskiöldfjellet.
Die Studentenunterkünfte
in Nybyen am Ende des Longyeartales
Unser „Hausberg“
Nordenskiöldfjellet von Nybyen aus gesehen
Eine Besonderheit Spitzbergens ist die
Tatsache, dass man jederzeit einem Eisbären begegnen kann. Daher wird in der
ersten Woche des Semesters von UNIS ein Sicherheitskurs
durchgeführt. Hier lernt man neben den speziellen, arktischen Gefahren
(Erfrierungen, Gletscherspalten, Lawinen,…) auch wie man sich gegenüber
Eisbären zu verhalten hat. Teil des Kurses ist ein Schießtraining, da jeder,
der die Stadt verlässt, ein Gewehr mit sich führen muss. Dies ist allerdings
nur in äußerster Notwehr zu verwenden, denn Eisbären stehen auf Spitzbergen
unter Naturschutz
und der Sysselmann
(oberster politischer Vertreter des norwegischen Staates und außerdem
Polizeioberhaupt) kontrolliert dieses auch streng.
Am Ortsausgang weisen
Schilder auf die Eisbärengefahr hin.
Weniger gefährlich und häufiger anzutreffen
sind Rentiere, die einem auch auf dem täglichen Weg zwischen Uni und Nybyen
begegnen können. Apropos Weg, die Entfernung zwischen Nybyen und UNIS beträgt
ca. 3km. Bei gutem Wetter ist dieser durchaus in einer halben Stunde zu Fuß zu
schaffen (öffentliche Verkehrsmittel gibt es nicht), bei Schneesturm hingegen,
kann man dick verpackte Menschen beim Kampf gegen die unerbittlichen
Naturgewalten beobachten. Es ist trotzdem praktisch, sich ein Fahrrad
zuzulegen, auch wenn die tückischen Straßenverhältnisse in Kombination mit
starkem Wind eine große Herausforderung darstellen können. Wobei wir auch schon
beim Wetter wären. Tja, was gibt es zum Wetter zu sagen: Eigentlich herrscht
fast das ganze Jahr über Winter. Der erste Schnee im Ort überraschte uns Anfang
September, als wir Spitzbergen Mitte Juni wieder verließen,
lag immer noch Schnee bis fast auf
Meereshöhe. Im Herbst liegen die Temperaturen bei ca. 0 bis -20°C, wobei wir in
den Genuss einer rekord-verdächtigen, einwöchigen Tauperiode Anfang Dezember
mit Regen und Plusgraden kamen und sich alle Straßen und Wege in spiegelglatte
Eisbahnen verwandelten. Dem gemeinen Einheimischen macht das jedoch nichts aus,
denn er bewegt sich sowieso nur mit dem Auto fort und das hat ja schließlich
Spikereifen. Für Studenten, eigentlich die Einzigen, die sich zu Fuß oder mit
Rad fortbewegen, gestaltet sich das Ganze dagegen schon etwas schwieriger.
Svalbardrentiere; allein
im Adventtal schätz man die Population auf ca. 1000 Tiere.
Blick von Hiorthfjellet
über den 30km breiten Isfjord.
Die Abbruchkante des
Tunabreen in den gefrorenen Tempelfjord.
Ende Oktober muss man sich dann von der Sonne
verabschieden; für mehrere Wochen ist die Landschaft jetzt in ein mystisches
Blau getaucht. Polarlichter sowie Mond und Sternenhimmel sind von nun an die
einzigen Leuchterscheinungen am Firmament. Besonders die neuen Studenten im
Frühlingssemester fanden unser Mitleid, als sie in Dunkelheit und Kälte Mitte
Januar ihr Sicherheitstraining absolvieren mussten. Sie hatten wohl noch etwa
einen Monat lang keine genaue Vorstellung von ihrer Umgebung.
Ab Mitte Februar kann man von den höchsten
Berggipfeln schließlich wieder die Sonne bewundern; bis sie in den Ort
zurückkehrt, vergehen weitere drei Wochen. Dann wird eine Woche lang das so genannte
Sonnenfest gefeiert und es gibt unzählige Veranstaltungen und Konzerte.
Besonders lustig ist „Ta sjansen“, ein Rennen mit abenteuerlichen
selbstgebauten Schlitten am Hang auf der anderen Seite des Adventtales. Jetzt
beginnt die unbestreitbar schönste Zeit für Ausflüge, vor allem mit
Schneescootern, welche neben Helikoptern und Schiffen die einzigen
Fortbewegungsmittel in der straßenfreien Umgebung Longyearbyens sind. Beliebte
Ausflüge sind die etwa 100 km entfernte Geisterstadt Pyramiden, eine verlassene
Lenindenkmal im Zentrum
Barentsburgs,
der einzigen verbliebenen
russischen Siedlung Spitzbergens.
russische Bergbausiedlung, oder die blaue
Gletscherfront des Tunabreen mit einer über 25m hohen Abbruchkante in den
Tempelfjord. Besonders beliebt ist auch ein Abstecher zu den russischen
Nachbarn in Barentsburg, mit denen auch regelmäßig Kulturaustausche und
Sportwettkämpfe organisiert werden.
Eine goldene Regel besagt, dass es auf
Spitzbergen erst dann richtig kalt wird, wenn die Sonne wiederkehrt. So
verzeichneten auch wir im April mit -35°C die tiefsten Temperaturen. Zu diesem
Zeitpunkt waren wir gerade auf Exkursion im Landesinneren und konnten die Wintertauglichkeit
unserer Ausrüstung testen. Einige Studenten bekamen auch ein paar kleine
Erfrierungen, jedoch muss man sagen, dass die Kleidung, die für die Exkursionen
von UNIS gestellt wird, den Bedingungen im Normalfall gewachsen ist.
Das UNIS-Gebäude im
mystisch-blauen Licht in der Zeit der herannahenden Polarnacht.
Unsere Hütte während des
Fieldworks in Reindalen und auf Van Mijenfjord.
Mittagspause bei -30°C
während unseres Fieldworks auf dem gefrorenen Van Mijenfjordes.
Von nun an werden die Nächte immer kürzer und
bald herrscht Polartag. Es ist wirklich faszinierend, um Mitternacht in der
Sonne zu liegen. Ab Ende Mai steigen die
Tagestemperaturen langsam wieder über den
Gefrierpunkt und an windstillen Tagen kann man bereits im T-Shirt auf dem Dach
der Brakke sitzen.
Im Sommer erreichen die Temperaturen selten
mehr als 15°C, wobei man Einheimische wie auch Studenten dann in T-Shirt und
kurzer Hose in der Stadt beobachten kann. Nach einem nahezu 1-jährigen
Aufenthalt kommen einem diese Verhältnisse tatsächlich fast wie Hochsommer vor.
(Die Rückkehr in den deutschen Rekordsommer 2003 war ein gigantischer
Temperaturschock).
Norwegen zeigt ein, auch politisch
motiviertes, starkes finanzielles Engagement, um Forschung, Tourismus und
Wirtschaft auf diesem kleinen Archipel zu fördern und ein angenehmes Leben zu
ermöglichen. Dies zeigt sich auch in der Ausstattung der hiesigen Universität.
UNIS hat jährlich ca. 100-200 Studenten, wobei etwa 50% Norweger sind. Der Rest
setzt sich hauptsächlich aus zahlreichen europäischen Nationalitäten und
einigen Exoten zusammen. Selbst Tibetaner lernten wir während unseres
Aufenthaltes kennen. Der Kontakt zu den Kommilitonen ist schnell hergestellt, da
zu Beginn jedes Semesters eine Icebreaker Party organisiert wird.
Unser Schiff „Lance“,
angedockt an eine gigantische Eisscholle in der Framstraße.
Auch sonst gibt es eigentlich jedes
Wochenende eine Party, da sämtliche Studenten in nächster Umgebung zueinander
wohnen. Eingeleitet wird das Wochenende durch das so genannte „Friday
Gathering“, das stimmungsvoll am Kamin in der Einganghalle von UNIS
stattfindet. Beliebt sind auch spontane Pizzabackabende, die durch die für
norwegische Verhältnisse günstigen (für deutsche Verhältnisse normalen)
Alkoholpreise schnell in mitreißende Partys ausarten.
Ein standesgemäßer Partyabend wird im
Normalfall im Huset, der lokalen Diskobar, fortgesetzt. Hier zahlt man für ein
Bier 40 Kronen (=5€). Die Musik ist etwas gewöhnungsbedürftig, was der guten
Stimmung allerdings keinen Abbruch tut. Häufig trifft an hier auch auf trunkene
Mienenarbeiter, die in der 60 km entfernten Kohlegrube Svea ihren Dienst
leisten.
Start eines Ballons auf
einer Eisscholle im Packeis vor der Küste Grönlands.
Lacht nach einer anstrengenden Nacht wieder
die Sonne, so ist das Scooter-gezogene Skifahren bzw. Snowboarden eine beliebte
Freizeitbeschäftigung. Abgesehen von dem abenteuerlichen Skilift der örtlichen
Schule muss man sonst selbst mit seinen Brettern die Berghänge erklimmen. Das
äußert sich dann in 2- bis 3-stündigen Aufstiegen und 10-minütigen Abfahrten.
Allerdings wird man durch die traumhafte Aussicht mehr als entschädigt und die
Tatsache, dass die Tage ab März schnell länger werden, gibt einem auch die
Möglichkeit, um Mitternacht eine Tour zu starten. Beliebtes Ausflugziel sind
auch die Gletscherhöhlen des nahegelegenen Longyear- und Larsbreens. Hier kann
man bizarre Eiskristalle und Formationen bestaunen.
Wer dagegen ein ruhiges Wochenende verleben
möchte, hat die Möglichkeit, sich in die den Studenten gehörende Hütte im
Nachbartal Bjørndalen zurückziehen, um dort mit der Natur in Einklang zu sein.
Hat man einmal keine Lust auf naturnahe Erlebnisse, so kann man auf die
vielfältigen Angebote und örtlichen
Eisbärenbesuch während
unserer Messungen auf einer Eisscholle.
Freizeitmöglichkeiten zurückgreifen.
Besonders beliebt sind dabei Sauna bei anschließendem Bad im Schnee, sowie
Schwimmen, Hallenhockey oder Klettern an der Indoor-Kletterwand.
Natürlich besteht ein Aufenthalt auf
Spitzbergen nicht nur aus Freizeit, sondern auch aus einem interessanten
Studium. UNIS bietet gegenwärtig vier verschiedene Aufbaustudiengänge an: Arctic Biology, Arctic Geology, Arctic Technology und Arctic Geophysics,
in welchem wir eingeschrieben waren. Hier hat man die Möglichkeit, sich mit
Meteorologie, Ozeanographie, Schnee- und Eisprozessen, mittlerer und höherer
polarer Atmosphäre, mit Schwerpunkt auf Polarlichtforschung, zu beschäftigen.
Das Besondere ist hierbei, dass für jeden Kursabschnitt ein Dozent aus dem
jeweiligen Spezialgebiet eingeladen wird. So hatten wir es abwechselnd mit
Kanadiern, Amerikanern, Skandinaviern, Russen, Deutschen, Spaniern, Briten usw.
zu tun. Einzigartig (auch aus finanzieller Sicht) waren die Möglichkeiten für
praktische Feldexperimente.
Im Herbstsemester
besuchten wir die Vorlesungen: Polar Meteorology,
Polar Oceanography,
Middle Polar
Atmosphere und Remote
Sensing. In Polar
Meteorology beschäftigten wir uns mit den speziellen meteorologischen
Verhältnissen in hocharktischen Gebieten. Von besonderer Bedeutung waren
hierbei die Bestimmung von turbulenten Flüssen in der Atmosphäre und
Strahlungsbilanzen über schnee- und eisbedeckten Gebieten. In Polar Oceanography
behandelten wir die Strömungen und die Bildung verschiedener Wassermassen und Meereis im arktischen Ozean, welche für die
globale Ozeanzirkulation von großer Bedeutung sind. Während einer
Schiffsexkursion in die Framstraße und in die Fjorde Westspitzbergens konnten
wir die erlernten Theorien auf Beispiele in der Praxis anwenden. Im Vordergrund
standen Strömungsmessungen und die Bestimmung von Salinitäts- und
Temperaturprofilen. Im Rahmen des Remote Sensing-Kurses wurden mit Hilfe von Satelliten-Fernerkundungsalgorithmen
unterschiedliche Vegetations- und Oberflächentypen aus Satellitenbildern
bestimmt. Der zweite Teil des Kurses handelte von Raketentechnik und
Telekommunikation. Der Kurs Middle Polar
Atmosphere beschäftigte sich mit der Dynamik in
der mittleren Atmosphäre zwischen 15 und 60km Höhe. Außerdem wurden Strahlung
und Ozonbildung untersucht.
Im Frühlingssemester belegten wir die Kurse: Air-Ice-Sea
Interaction, Processes
in Snow and Ice, Upper
Polar Atmosphere und Radiodiagnostics. Der
Kurs Air-Ice-Sea
Interaction war dabei eine logische Fortsetzung des Ozeanographiekurses,
wobei nun im Speziellen die Verhältnisse bei Eisbedeckung des Meeres untersucht
wurden. Im Rahmen zweier Exkursionen konnten wir Messungen auf und unter dem
Eis eines zugefrorenen Fjordes, sowie im Packeis vor der Küste
Nordost-Grönlands durchführen, wobei wir jeweils einmal Eisbärenbesuch bekamen.
Im Mittelpunkt stand hierbei die Bestimmung von turbulenten Flüssen. In Processes in Snow and
Ice beschäftigten wir uns z.B. mit der Transformation von Schnee zu Eis und
der Bildung von Gletschern. Deren Bewegungen und Massenbilanzen untersuchten
wir auf einer einwöchigen Exkursion ins Landesinnere Spitzbergens. Polarlichter
waren das Hauptthema des Kurses Upper Polar Atmosphere.
Das Entstehen des Polarlichtes wurde vom Sonnenwind über seine Wirkung auf das
Erdmagnetfeld bis hin zum Partikelniederschlag behandelt. Das in der Nähe von
Longyearbyen gelegene Eiscat-Radar ist
ein sehr fortschrittliches Messinstrument für die Untersuchung von
Polarlichtern. Die Einzelheiten hierzu waren Thema des Kurses Radiodiagnostics.
Im Allgemeinen ist hervorzuheben,
dass UNIS über schier unendliche Geldmittel zu verfügen scheint. Modernste
Ausstattung mit Computern, Laboren und Messinstrumenten sind ein Beleg dafür
und auch die zahlreichen Exkursionen dürften eine Stange Geld kosten.
Natürlich hat eine Medaille zwei
Seiten: Aufgrund der Abgelegenheit Spitzbergens sind die Lebenshaltungskosten
im Vergleich zu Deutschland extrem hoch, ja sie stellen sogar die Preise auf
dem norwegischen Festland in den Schatten. Leider sind lediglich die ungesunden
Sachen, wie Alkohol und Tabak, verhältnismäßig billig, und die gesunderen
Lebensmittel, wie Obst und Gemüse, sehr teuer. Für einen Liter Milch bezahlt
man ungerechnet 2.50€ … Auch sollte man für Ausrüstung und evtl.
Scooterkauf/-leihen ein wenig Geld einplanen. Gerade Schneescooter entpuppen
sich in der Regel aus finanzieller Sicht als Fass ohne Boden…
Nichts desto trotz wird uns der
Aufenthalt auf Spitzbergen für immer in Erinnerung bleiben und kann von uns nur
weiterempfohlen werden. Wer sich darüber näher informieren möchte, der sei auf
die UNIS-Homepage: www.unis.no
verwiesen.
Ulrich und Peer